Story: Der angehende Psychologe Edward Newgate kommt am Weihnachtstag des Jahres 1899 zur Nervenheilanstalt Stonehearst Asylum, um dort sein Studium abzuschließen und praktische Erfahrungen zu sammeln. Dr. Lamb, der charismatische Leiter der Anstalt, nimmt den jungen Mann unter seine Fittische und führt ihn in seine unkonventionellen Heilungsmethoden ein. Als Newgate in der Nacht im Keller einen Mann eingekerkert findet, der von sich behauptet, der wahre Anstaltsleiter zu sein, überschlagen sich die Ereignisse.
Film: Der Film basiert auf der Kurzgeschichte „Die Methoden des Doktor Teer und Professor Feder“ von dem bekannten Romancier Edgar Allan Poe aus dem Jahr 1845. Die Werke des Autoren gehören zu den Klassikern der Schauerliteratur und nicht wenige von ihnen wurden – vor allem von Roger Corman in den 1960er Jahren – für die Leinwand adaptiert.
In der Kurzgeschichte kommt ein Besucher in eine Heilanstalt und muss dort feststellen, dass die Anstalt von den Patienten übernommen wurde, während die Ärzte und Pflegekräfte in den Zellen gefangen gehalten werden. Kurz und knapp, nicht unbedingt der Stoff für einen Abendfüllenden Spielfilm, aber die Geschichten und Gedichte Poes wurden bereits in der Vergangenheit oft ausgeschmückt und abgeändert. Eines der bekanntesten Beispiele dürfte dabei „Der Rabe“ mit Vincent Price und Boris Karloff in den Hauptrollen sein. Hier wurde ein kurzes Gedicht über einen dem Wahnsinn anheimfallenden Witwer kurzerhand zu einer absurden Horrorkomödie über zwei rivalisierende Zauberer umgemodelt – mit großem Erfolg. Ähnlich verhält es sich nun auch mit „Stonehearst Asylum“.
Es dauert nicht lange, bis der Protagonist – und mit ihm der Zuschauer – hinter das vermeintliche Geheimnis der Nervenheilanstalt kommt. Ganz klar: Hier haben hier die Irren das Regime an sich gerissen und heilen sich fortan selbst – oder eben nicht. Immerhin ist es besser ein glückliches Pferd zu sein, als ein unglücklicher Mensch. Bedenkt man, mit welchen unmenschlichen Mitteln man gerade am Ende des 19. Jahrhunderts mutmaßliche Geisteskranke zu heilen versuchte (Filme und Serien zu diesem Thema gibt es ja genügend), scheinen die Methoden des Doktor Lamb, die obendrein zu funktionieren scheinen, durchaus sinnvoll, menschlich und vor allem sehr fortschrittlich zu sein.
Die Handlung der Kurzgeschichte dient hier als Grundgerüst und wird konsequent weitergesponnen. Regisseur Brad Anderson, der bereits vor zehn Jahren mit „Der Maschinist“ bewies, dass er sowohl ein Händchen für unheilvolle Atmosphären als auch für unerwartete Überraschungen besitzt, bedient sich sämtlicher Zutaten, die einen echten Gothic-Horrortrip ausmachen. Die Nervenheilanstalt – herrlich auf einem Hügel im Nebel ruhend – bietet hier auch die ultimative Lokation. Dunkle, enge Gänge voller liebevoller Hingucker und ein düsterer, dampfiger Keller – da ist die Gänsehaut bereits vorprogrammiert.
Nun könnte man dem Film vorwerfen, er ließe die Katze zu schnell aus dem Sack. Wie in der Kurzgeschichte wird auch in diesem Film schnell klar, dass in Titelgebendem Stonehearst Asylum etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann: Bereits die Torwächter und der Hausmeister, der den treffenden Namen „Mickey Finn“ trägt (ein Slang-Ausdruck für ein Getränk, dass heimlich und zu kriminellen Zwecken mit Drogen versetzt wurde), lassen gleich nach dem Vorspann schreckliches erahnen. Der einzig halbwegs vernünftig agierende Angestellter der Klinik scheint der Anstaltsleiter Dr. Lamb zu sein, auch wenn dessen Methoden äußerst unkonventionell erscheinen.
Die Kranken laufen frei herum und werden in ihren Wahnvorstellungen bestärkt – selbst beim Abendessen der Anstaltsleitung sind sie willkommen.
Als Lamb im Kesselraum der Anstalt eine Gruppe völlig derangierter Männer und Frauen, die dort in Käfigen eingesperrt sind, findet und einer der Männer behauptet, der rechtmäßige Anstaltsleiter zu sein, wird dem Zuschauer alles klar.
An dieser Stelle, so könnte man annehmen, verliert die Geschichte ihren Reiz, da bereits alles klar ist – doch das Gegenteil ist der Fall. Denn von nun an ist es an Newagte, dem Treiben der Irren Einhalt zu gebieten, die tatsächlichen Ärzte und Pfleger aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Besonders interessant ist dabei, dass Newgate die Funktionalität von Dr. Lambs Methoden befürwortet, während in Rückblicken immer wieder die grauenvollen aber sinnlos scheinenden Behandlungen des eingekerkerten Dr. Salt gezeigt werden. Hierdurch geraten sowohl Newagte als auch der Zuschauer in einen gewissen Gewissenskonflikt, ob die Wiederherstellung der ursprünglichen Vormachtstellung tatsächlich sinnvoll ist.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt auch eine Patientin namens Eliza Graves (im Original trägt der Film den Titel dieser Figur, was auf deren Wichtigkeit hinweist), die wir bereits von der Anfangssequenz her kennen, in welcher diese Lehrärzten als hysterisch vorgestellt wird. Eliza und der mit ihr verbundene Subplot kommen zwar in der ursprünglichen Geschichte überhaupt nicht vor, bieten aber dadurch einige Überraschungen für den Zuschauer, auf die wir an dieser Stelle jedoch nicht hinweisen, um die Freude nicht zu verderben.
Neben dem talentierten Regisseur konnte der Film vor allem durch seinen hochkarätigen Cast auf sich aufmerksam machen. Große Namen wie Sir Ben Kingsley, Sir Michael Caine und Underworld-Darstellerin Kate Beckinsale verhießen Großes. Und wie erwartet, verkörpern die mehrfach ausgezeichneten Darsteller ihre Rollen souverän und glaubhaft.
Sir Ben Kingsley, ein Darsteller, der selbst in miesen Filmen zu brillieren versteht, kann in der Rolle des diabolischen wie gleichsam charismatischen Dr. Lamb zu absoluter Höchstform auflaufen und erneut unter Beweis stellen, dass er zu den Besten seiner Zunft gehört. Obschon man ahnt, dass sich hinter Dr. Lamb ein gefährlicher Irrer verbirgt, möchte man sich gerne auf seine Seite schlagen. Nicht weniger überzeugend ist auch Sir Michael Caine als dessen Widersacher, der eingekerkerte Dr. Salt. Leider wurde Sir Michael weitaus weniger Leinwandzeit beschert, als dieser verdient hätte.
Ausnahmsweise ist hier auch die Darstellung von Kate Beckinsale zu loben. Die Actresse spielt als Eliza Graves mal eine Rolle, deren Tiefgang den ihres Dekolletés überschreitet – und das macht sie überraschend gut. Eine Charakterdarstellerin ist an ihr zwar nicht verlorengegangen, aber sie ist zumindest überzeugend.
Ein weiterer Lichtblick ist David Thewlis, der hier ebenfalls hervorragend spielt und eine beängstigend gute Darstellung als psychopatischer Mickey Finn zum Besten gibt. Die übrigen Irrenhäusler wurden ebenfalls gut ausgewählt und verleihen dem Film durch ihre Anwesenheit und ihr Erscheinungsbild das gewisse Etwas.
Unterm Strich ist „Stonehearst Asylum“ ein Fest für Fans verfilmter Edgar Allan Poe Geschichten. Die Rahmenhandlung wurde im Sinne der Werke des Autoren aufgepeppt, wobei die Handlung zur Entstehungszeit der Geschichte (also Ende des 19.Jahrhunderts) angesiedelt ist, einer Zeit, die schon per se wie gemacht für solche Geschichten ist. Mit einem brennenden Schloss am Ende hätte man den Film glatt für einen der besseren Coreman-Streifen halten können. Hiervon wünschen wir uns für die Zukunft mehr!
Bildqualität: Bildtechnisch zeigt sich der Film von der allerbesten Seite. Die Schärfe ist in den allermeisten Fällen ausgezeichnet und lässt selbst kleinste Details erkennen. Hiervor profitieren vor allem die liebevoll ausgestatteten Kulissen wie das Büro des Anstaltsleiters oder die Behandlungsräume. Leidglich die ein oder andere weichere Einstellung verhindert hier die Höchstnote, wobei gerade diese weichen Momente durchaus als Stilmittel angesehen werden könnten. Die Farbgebung ist sehr natürlich und schafft trotzdem die Atmosphäre der klassischen Gruselfilme der 1960er Jahre wiederzugeben.
Die meisten Szenen spielen im Zwielicht oder im Dunklen, weshalb der Schwarzwert in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist. Dieser ist, bis auf wenige Ausnahmen, absolut fantastisch und nur in wenigen Fällen etwas zu tief, was dann zu Lasten der Durchzeichnung geht.
Gerade die oben genannten Lokalitäten entwickeln auch eine ganz vorzügliche Plastizität, wie sie bei 2D Filmen nur selten zu bewundern ist. Fehler konnten indessen keine festgestellt werden.
Tonqualität: Obwohl es auch beim Ton keine Beanstandungen gibt, hätte man hier ruhig etwas tiefer in die Effektkiste greifen können. Die Räumlichkeit ist überwiegend sehr gut, obwohl der Film alles in allem sehr frontlastig ausgefallen ist, kommen immer wieder beunruhigende Umgebungsgeräusche aus den hinteren Kanälen, die sich in einer schönen Einheit mit dem düsteren Soundtrack von John Debney vermischen. Leider kommen die Hintergrundgeräusche etwas zu selten zum Einsatz, sind in den Fällen aber makellos zu orten. Der Subwoofer hätte ebenfalls ein paar zusätzliche Einsätze haben dürfen, zumal drückende Tieftöne das Unwohlsein beim Zuschauer verstärken. In seinen raren Einsätzen wummert er aber ganz ordentlich und gibt keinen Anlass zur Kritik.
Die Stimmen, die leider fast ausschließlich von vorne kommen, bleiben jederzeit klar verständlich. In der deutschen Synchronfassung wurde auf die altbekannten Standartsprecher der namhaften Stars zurückgegriffen. So erklingt erfreulicherweise die markante Stimme von Peter Matic, der sich zwar seit den 1990ern aus dem Synchrongeschäft zurückgezogen hat, jedoch nach wie vor für Ben Kingsley eine Ausnahme macht.
Extras: Das Menü ist im Stil des Films ansprechend gestaltet und dabei sehr bedienerfreundlich. Leider wurde, mit Ausnahme des obligatorischen Filmtrailers und einer werbewirksamen Trailershow des Labels, völlig auf Bonusmaterial verzichtet. Zumindest wurde an ein Wendecover gedacht, womit zumindest Feinde des unbeliebten FSK-Siegels zufriedengestellt werden.
Fazit: Technisch betrachtet ist die blaue Scheibe aus dem Hause Universum ein echter Augen- und Ohrenschmaus. Das Bild ist wunderbar scharf und plastisch mit herrlichen Farben die der Atmosphäre äußerst zuträglich sind. Der Ton kann ebenfalls überzeugen und wartet mit zahlreichen Audiohighlights auf, die das Filmerlebnis und die Angst steigern. Leider wurde völlig auf Boni verzichtet, was sich auf die Gesamtbewertung sehr negativ auswirkt.
Der Film beweist, dass die Geschichten von Edgar Allan Poe auch 170 Jahre nach ihrer Entstehung nichts von ihrem Reiz eingebüßt haben, vorausgesetzt ein fähiges Filmteam und gute Darsteller sind involviert. „Stonehearst Asylum“ bietet beides: Einen talentierten Regisseur und brillante Darsteller. Diese Mischung macht aus der grandiosen Story mit ihrer unheilvollen Atmosphäre einen Neo-Gothic-Horrorthriller der Extraklasse. In Anbetracht der Tatsache, dass Poe noch zahlreiche anderer Werke zu Papier gebracht hat, und die Zahl der wirklich guten und atmosphärischen Gruselfilme in letzter Zeit eher rückläufig ist, wäre es sehr zu wünschen, dass dem Film ein entsprechender Erfolg beschienen ist, der talentierte Nachahmer auf den Plan ruft.
(Michael Speier)
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