Systemsprenger – DVD Review | EuroVideo Medien | Port-au-Prince Pictures | 12.02.2020

Story:

Die neunjährige Bernadette, die aber nur Benni genannt wird, ist das Paradebeispiel eines schwierigen Kindes. Sie ist wütend, gewaltbereit und so schnell aufbrausend, dass es erschreckend ist. Als nicht anpassungsfähig erweist sie sich für die Jugendhilfe als unlösbares Problem. Vermittlungen zu Pflegefamilien oder Wohngruppen scheitern schneller als sie begonnen haben. Mit der Bezeichnung Systemsprenger scheint sie in keine Schublade der Jugendhilfe zu passen. Der scheinbar einzige Ausweg der Erzieherinnen wäre die Einlieferung in eine geschlossene Anstalt, ein hartes Los für ein so junges Mädchen.

Doch Frau Bafané vom Jugendamt hat Mitleid mit Benni und gibt die Hoffnung nicht auf, ihr zu helfen. Der Schulbegleiter Michael Heller, der ansonsten mit straffälligen Jugendlichen arbeitet, versucht ebenfalls, sich Benni etwas anzunähern. Aber auch für ihn wird es eine Herausforderung, denn Benni bleibt unberechenbar, nach einem erneuten Gewaltausbruch kommt ihm eine zündende Idee. Er zieht mit Benni für drei Wochen in den Wald, fernab von Menschen und jeglichem Luxus. Doch auch mit Benni allein merkt Michael schnell, dass er mit dem extremen pädagogischen Experiment an seine Grenzen stößt. Aber er bleibt hartnäckig und findet langsam Zugang zu Benni, doch die drei Wochen enden auch wieder. Benni möchte plötzlich bei Michael bleiben, das ist für ihn jedoch keine Option, er hat seine eigene Familie und so steht Benni wieder allein da.

Dann taucht plötzlich Benni´s Mutter wieder auf, nimmt sie ihr Kind wieder zu sich? Das wird hier natürlich nicht verraten.

Eindruck:

Ein deutscher Film hat es in unserem Land nur leicht, wenn er von Til Schweiger, Michael Herbig oder von und mit Matthias Schweighöfer ist. Deren überwiegend seichte Komödien ziehen ein verhältnismäßig großes Publikum ins Kino. Kleinere Filme, mit ernsteren Tönen, haben es dagegen richtig schwer und gehen zudem in der riesigen Flut von Hollywood Filmen, regelmäßig unter. Das gilt auch für „Systemsprenger“, der Erstlingsfilm von Nora Fingscheidt behandelt ein schwieriges Thema und ist eben kein anspruchsloser Film, sondern ein ernstes Drama. Eines, das zudem ein kompliziertes Thema beinhaltet und somit nichts für die breite Masse ist.

Zwar gewann die frische Regisseurin einige Preise und Anerkennung mit „Systemsprenger“, doch an den Kinokassen scheiterte sie leider. Und ja, leider, denn der Film verdient definitiv ein größeres Publikum und viel mehr Aufmerksamkeit, aber das kann jetzt jeder daheim Nachholen.

Denn ihre Inszenierung ist feinfühlig, ehrlich und mit einer Energie versehen, die den Zuschauer schlicht umhaut. Trotz der brisanten Thematik verliert sie nie den Fokus aus den Augen, zeigt alle rebellischen und entspannten Facetten von Benni, in ihrer gesamten Bandbreite. „Systemsprenger“ ist ein erschütternder Film, der den Zuschauer verstört und es ihm nicht leicht macht, Sympathien für Benni zu entwickeln.

Die Herangehensweise der Regisseurin ist grandios, geschickt spickt sie einige Momente mit Benni so einzigartig, dass man nicht nur Mitleid mit ihr bekommt, sondern auch etwas Zuneigung entwickelt. Um kurz darauf Benni explodieren zu lassen, sie ist eben wie ein Tornado, in dessen Zentrum, seinem Auge, es zwar ruhig ist, doch rundherum eben nicht. Ungeschönt wird uns das schwierige Leben von Benni vorgesetzt, wie sie mit Medikamenten vollgestopft wird, zeigt uns ihre überforderte Mutter und die zunehmende Hilflosigkeit des Jugendamtes, dessen Mitarbeiter sie am liebsten loswerden wollen, weil es einfach bequemer ist ohne Benni. Natürlich gibt es da auch Frau Bafané und Michael, die sich den unbequemen Weg entgegenstellen, obwohl Benni immer und immer wieder ihre Grenzen auslotet. Das alles ist eine ungeschönte Umsetzung des Stoffes, ohne die Figuren und deren Ansichten klischeehaft darzustellen.

Neben der bewundernswerten Inszenierung sollte man die Darsteller nicht vergessen, Benni, gespielt von Helena Zengel, liefert eine Performance, die es in sich hat. Mit einer scheinbaren Leichtigkeit entfacht sie die Urgewalt ihrer Figur, als ob sie schon ein alter Hase in dem Business ist. Die Darsteller um Benni herum stehen dem in nichts nach, überzeugen ebenfalls mit einer überzeugenden wie glaubhaften Vorstellung.

Fazit:

„Systemsprenger“ ist ein schockierender Film, ein aufwühlendes Erlebnis, das ist pures Kino. Hier wird man in eine Achterbahnfahrt mit Benni geworfen, die ihr Gefühlschaos sofort auf den Zuschauer überträgt. Man leidet mit, ist entsetzt über ihre Taten und bangt innerlich, das für Benni alles gut enden wird. Ein Film der bewegt wäre geschmeichelt, er rüttelt an unserer gesellschaftlichen Vorstellung eines geordneten Lebens. Und das, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger uns eine vorgegebene Schublade zu servieren. Eine Schublade in die Benni sowieso nicht passt, „Systemsprenger“ ist eine intensive Erfahrung, verpackt in einem tragischen Drama.

Die Regisseurin Nora Fingscheidt gibt dem Publikum somit keinen Weg vor, experimentiert mit dem Zuschauer und fordert ihn zunehmend. Sie lässt uns hinterfragen, wie wir mit Benni umgehen würden. Und wenn sie uns schonungslos zeigt, wie rotzfrech, gewaltbereit und provozierend Benni ist, stellt sie uns vor eine heikle Frage. Denn letztlich ist Benni ein neunjähriges Kind, ob man dieses aufgeben sollte und einfach in eine geschlossene Anstalt steckt, ist schwer zu beantworten. Damit klopft sie stark an unsere Moralvorstellungen und lässt uns zweifeln, welcher Weg, der richtige wäre.

Systemsprenger offenbart uns unsere Hilflosigkeit, sprengt die eingeschränkte Sichtweise gegenüber auffälligen Kindern, welche tief in uns schlummert. Ganz großes Kino, ehrlich und unspektakulär inszeniert, eine spannende Erfahrung mit Sogwirkung. Kein einfacher Film, aber ein richtig mutiger, was für ein Highlight in unserer Kinokultur.

Nun nach der ganzen Euphorie, gibt es auch ein paar Sachen, die mir nicht gefallen haben. Gerade zum Start des Films fehlte mir etwas die Einführung, ein paar Hintergründe zu Benni und ihrer Mutter wären wünschenswert, so wird man leider zu schnell mit der wütenden Benni konfrontiert. Dazu wirkte das Ende etwas gehetzt, ich will jetzt auch nicht spoilern, aber das Finale erschien mir recht hastig und irgendwie reingequetscht.

Allerdings schadet es den Gesamteindruck nicht, es bleibt ein wirklich empfehlenswerter Film. Das Debüt von der Regisseurin lässt jedenfalls hoffen, dass sie unsere karge Kinolandschaft hoffentlich bald weiter eindrucksvoll bereichern wird.

Bild:

So zurückhaltend wie die Inszenierung ist auch das Bild, es wirkt häufig blass und fast fahl. Die Farbgebung beeinflusst das erfreulicherweise kaum, sie bleibt mit kräftigen Tönen dennoch natürlich. Die Schärfe der DVD überzeugt und hinterlässt auch auf der großen Leinwand eine gute Figur. Der Kontrast gefällt, der Schwarzwert dagegen hat häufig Luft nach oben. Insgesamt aber ein gutes Bild, das nicht davon ablenkt, um was es geht, den eigentlichen Film.

Ton:

Eine ruhige Dolby Digital 5.1 Abmischung, der Score wird spärlich eingesetzt und wenn, erklingt er genauso aggressiv wie die Handlungen von Benni. Im Vordergrund stehen die Dialoge, welche Kristallklar und sauber abgebildet werden. Hin und wieder werden die Rears dezent einbezogen, wie auch beim Score und erzeugen einen Hauch von Räumlichkeit. In Anbetracht der Handlung von Systemsprenger, eine passende Vertonung, hier ist weniger definitiv mehr.

Extras:

• Interview mit Nora Fingscheidt
• Interview mit Helena Zengel
• Interview mit Albrecht Schuch
• Interview mit Menno Baumann
• Featurette
• Audiokommentar von Menno Baumann
• Trailer
• Trailershow

Testequipment:

JVC DLA-X35
Panasonic DMP UB704
Marantz AV8801 / MM7055
B&W 7er Serie 5.1

(Hartmut Haake)

©Bilder EuroVideo – Alle Rechte vorbehalten!