Joaquin Phoenix ist bei weitem nicht der erste und wahrscheinlich auch nicht der letzte Schauspieler, der in die Rolle des Joker schlüpft. Dennoch handelt es sich in diesem Fall um einen besonderen Film, da der Joker zum ersten Mal im Mittelpunkt der Handlung steht. Und ein weiterer Aspekt macht „Joker“ zu etwas Besonderem: Es ist der erste Film einer neuen Reihe aus dem Hause DC, welcher unabhängig vom DC Extended Universe (DCEU) ist. Das heißt auch, dass die Handlung keinen Einfluss auf Jared Letos Joker hat, von dem auszugehen ist, dass er in weiteren DCEU Filme auftauchen wird.
„Joker“ spielt Anfang der 1980er Jahre in Gotham City, welches im Müll zu ersticken droht. Die Kriminalitätsrate ist hoch, die Arbeitslosigkeit auch und die Unterschiede zwischen Arm und Reich lassen einen immer tiefer werdenden Graben in der Gesellschaft aufreißen. Um nicht vollends ganz unten zu landen, hält sich Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) als Partyclown gerade so über Wasser. Er lebt mit seiner Mutter, Penny (Frances Conroy) zusammen in einem heruntergekommenen Gebäudekomplex und hat wenig Freuden im Leben. Immer wieder wird Arthur Opfer von willkürlicher Gewalt, wobei er sich nicht zu helfen weiß. Einzig eine Late-Night-Show, welche von Talkmaster Murray Franklin (Robert De Niro) moderiert wird, lässt ihn in eine andere Welt eintauchen – auch wenn dies nur in seiner Fantasie geschieht. Die Sehnsucht in Arthur ist so groß, dass er Franklin geradezu anhimmelt und selber Stand-up-Comedian werden möchte. Er fühlt sich dazu berufen, die Menschen zum Lachen zu bringen. Allerdings stehen ihm einige Dinge im Weg, woran er gar nicht selber schuld ist. Das wohl größte Hindernis ist, dass Arthur eine psychische Störung hat (im Originalen eine „condition“), welche ihn in unkontrolliertes Lachen ausbrechen lässt – vor allem, wenn er nervös ist, also in besonders ungelegenen Momenten. Dies trägt dazu bei, Situation heraufzubeschwören, an deren Ende er Opfer – oftmals von Gewalt – wird. Doch es ändert sich alles, als Arthur sich wehrt und selbst zum Täter wird.
Todd Phillips‘ „Joker“ lädt dazu ei,n hinter die Maske des Jokers zu blicken und eine Version der Geschichte kennenzulernen, die schlussendlich aus Arthur Fleck den Joker gemacht hat. In dieser Geschichte ist kein Platz für einen ausgereiften Joker, welcher, wie beispielsweise in „The Dark Knight“, verschachtelte Tricks und Intrigen anleiert. Schon gar nicht ist Platz für Selbstbewusstsein, wie in „Suicide Squad“, ob real oder vorgetäuscht. Stattdessen erlebt man den schrecklichen Alltag des Arthur Fleck so nah mit, dass man unheimlich viel Mitleid oder zumindest Mitgefühl entwickelt. So sehr sogar, dass man nicht so stark zurück schreckt, wie man vielleicht sollte, als Arthur plötzlich selber zum Täter wird. Hier setzten viele kritische Stimmen an, welche dem Film Gewaltverherrlichung vorwerfen, denn die Gewalt nimmt ab dieser Szene stetig weiter zu und es schafft nicht jeder den Absprung vom Mitgefühlszug. Allerdings greift diese Beurteilung zu kurz, denn weder ist es die Gewalt, welche den bleibenden Eindruck nach dem Kinogang hinterlässt, noch steht das Hochhalten oder die Glorifizierung von dieser im Zentrum der Handlung. Im Gegenteil, denn Gewalt, ob physisch oder psychisch, ist der klare Antagonist in der Erzählung und erscheint in vielerlei Form und Person. Das, was wirklich hängen bleibt, ist das Erlebnis gesehen zu haben, wie ein Mann terrorisiert, traumatisiert und misshandelt wird, bis er irgendwann nicht mehr in der Lage ist, noch weiter einzustecken und sich schließlich außerhalb des Systems begibt, um nicht völlig den Verstand zu verlieren. Es ist das (vermeintliche) System von Recht und Ordnung, was ihm nicht hat helfen können und aus seiner Sicht nicht existiert. Der Joker ist das Produkt dessen, was die Umwelt aus Arthur gemacht hat. Dabei geht es „Joker“ nicht darum zu bewerten, ob die Entwicklung, wie Arthur sie durchmacht, richtig, nachvollziehbar, vertretbar oder sogar zu verteidigen ist. Der Film ist kein Fingerzeig, der in diese oder jene Richtung zeigt, sondern er veranschaulicht lediglich eine sehr unschöne Facette des Lebens und überlässt die Interpretation dem Zuschauer.
Damit der Film funktioniert – was es bedeutet, aus nächster Näher zu sehen, wie übel Arthur zugespielt wird und wie seine Gefühlswelt dabei aussieht – muss die Kamera möglichst nah an ihm dran bleiben. Lange Einstellungen mit vielen Nahaufnahmen verlangen viel ab von einem Schauspieler, wenn es möglichst real wirken soll. Dies ist Joaquin Phoenix meisterlich gelungen. Er trägt den Film, wie man es von so einer Rolle erwartet. Obwohl die Kamera gefühlt 100 von den 122 Minuten auf Arthur gerichtet ist, schafft es Todd Phillips eine Geschichte zu erzählen, in der genügend passiert, um sie gleichermaßen mitreißend wie erschütternd zu machen. Neben der oscar-reifen Leistung von Joaquin Phoenix finden sich sehr solide Nebenrollen. Darunter ist keine, die übertrieben oder redundant wäre. Hervorzuheben ist darüber hinaus der Soundtrack, welcher sowohl klanggewaltig als auch ruhig sehr gut dazu beiträgt Szenen zu gestalten. Diese erste DCEU-unabhängige Auskopplung ist genau richtig, um von Erfolg gekrönt zu sein und weiteren Filmen den Weg zu bereiten.
(J.-H. Matthies)
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Vielen Dank für die tolle Review und den Einblick in dein Erlebnis 🙂
Danke fürs Review. Kinobesuch steht Freitag an… 🙂