Seit kurzem kann man „Godzilla – Das Original“ aus dem Jahr 1954 bei Amazon Prime ansehen und wir haben das Review dazu:
Es dürfte kaum einen Menschen geben, dem das japanische Kultmonster Godzilla kein Begriff ist. Weniger im Kollektivgedächtnis verankert ist aber vielleicht die lange Tradition der Figur. Der Schwarzweißfilm „Godzilla“ von Ishirō Honda legte bereits 1954 den Grundstein für ein Phänomen, das mittlerweile über 30 Filme sowohl japanischer als auch US-amerikanischer Provenienz umfasst und nach wie vor präsent ist – mit „Godzilla vs. Kong“ erschien bekanntermaßen erst in diesem Jahr der neueste Beitrag und es ist nicht abzusehen, dass Godzilla bald wieder von der Bildfläche verschwinden wird. Der Originalfilm, mit dem alles begann, ist derzeit im Amazon Prime-Angebot enthalten. Leider versäumt es der Streamingdienst, eine angemessene deutschsprachige Version zur Verfügung zu stellen. Einige Szenen sind nicht synchronisiert und liegen ohne Untertitel nur im japanischen Originalton vor. Man kann aber auch einfach die Bilder des Films auf sich wirken lassen, denn diese erzählen auch ohne Sprachgebrauch eine ganze Menge. Mehr dazu in dem folgenden Review.
Story:
Vor der japanischen Insel Odo ereignet sich die Zerstörung zweier Schiffe. Bald stellt sich heraus, dass ein etwa 50 Meter hohes, dinosaurierartiges Monster namens Godzilla (im Original: Gojira) hinter den Angriffen steckt. Godzilla lebte seit Millionen von Jahren unerkannt auf dem Meeresgrund und wurde durch die US-amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 aus dem Tiefschlaf erweckt. Nun geht er an Land und beginnt, eine Schneise der Verwüstung durch Japan zu ziehen. Unterdessen verfügt der Wissenschaftler und Kriegsveteran Dr. Serizawa (Akihiko Hirata) über eine Technologie, die Godzilla vernichten könnte.
Eindruck:
„Godzilla“ setzte nicht nur das Filmuniversum um Godzilla selbst in Gang, sondern etablierte mit dem „Kaijū Eiga” (zu Deutsch: Kaijū-Film, wobei Kaijū eben einen Sammelbegriff für riesenhafte Filmmonster darstellt) zugleich praktisch ein ganz eigenes Genre. An solch eine Wirkmächtigkeit dürfte 1954 jedoch noch nicht zu denken gewesen sein. Das Anliegen des Films ist ein viel Persönlicheres, steht er doch ganz deutlich im Zeichen der von diesem Zeitpunkt aus betrachtet sehr jungen Vergangenheit Japans.
Knapp zehn Jahre zuvor, 1945, hatte sich Japan noch im Kriegszustand mit den Alliierten befunden. Noch nachdem die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs mit der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland am 08. Mai 1945 in Europa zu einem Ende gefunden hatten, waren Gebiete in Ostasien von Japan und seinen Kriegsgegnern, in erster Linie den USA, umkämpft. Im Juli des Jahres war Japan militärisch weitreichend geschwächt und von der Rohstoffversorgung abgeschnitten. Eine Aufforderung zur Kapitulation seitens der USA blieb jedoch unbeantwortet. Auf Anordnung des damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman wurde am 06. August 1945 eine Atombombe über der Stadt Hiroshima abgeworfen, welche die USA als Militärstützpunkt ansahen. 80.000 Menschen, größtenteils Zivilisten, starben unmittelbar durch die Explosion, die radioaktive Strahlung forderte bis zum Ende des Jahres weitere 60.000 Todesopfer. Ähnlich horrend sind die Zahlen für die Stadt Nagasaki, die am 09. August 1945 ebenfalls Opfer einer amerikanischen Atombombe wurde: Die Explosion kostete 40.000 Menschen das Leben, die Verseuchung noch einmal so viele bis zum Ende des Jahres. Viele weitere Menschen starben noch in den Jahren danach an den Folgen der Bombenabwürfe.
„Godzilla“ erschien nur neun Jahre nach diesem Katastrophenjahr 1945. Dieser sehr kurze zeitliche Abstand macht den Film zu einem beeindruckenden Dokument über das Erleben und Verarbeiten des Atombombentraumas in Japan. Zunächst wird Godzilla noch als mythische Sagenkreatur beschrieben, doch tatsächlich waren es die Atombomben, die ihn erweckt haben – dies findet im Film explizit Erwähnung und er betont mehr als einmal die Gefahr, welche das Monster für das Land Japan darstellt. Godzilla, zu dessen bekanntesten Fähigkeiten nicht zufällig die Emission eines radioaktiven Hitzestrahls gehört, welcher bereits in diesem Film Anwendung findet, ist nichts weniger als die ultimative Manifestation des Schreckens, des Leids und des Terrors, den die US-amerikanischen Atombomben über Japan brachten.
Genau das ist in den etwa 90 Minuten Laufzeit von „Godzilla“ praktisch allgegenwärtig. Selbst in den ruhigen Momenten ist die Atmosphäre fast durchgängig düster, beklemmend und angespannt. Wenn Godzilla seiner Zerstörungswut dann freien Lauf lässt, zieht uns der Film mitten in die Atomkatastrophe hinein, welche er durch die Angriffe des Monsters metaphorisiert. Dann sind Einzelheiten wie Fliegeralarm, Panik in der Bevölkerung und Evakuierungsmaßnahmen nicht bloß Elemente eines Monsterfilms, sondern entfalten auf der Metaebene eine ganz andere Dimension. Das gilt insbesondere auch für auffallend lange Kameraeinstellungen auf brennende Häuser, eine verzweifelte Mutter, die ihre Kinder im Angesicht des flammenden Infernos zu beruhigen sucht oder das durch Mark und Bein fahrende Klagelied eines Kinderchors.
Regisseur und Drehbuchautor Ishirō Honda wählte eine eindringliche und bedrückende Bildsprache, welche die Möglichkeiten des Mediums Film, einen Schrecken wie den der Atombombenabwürfe greifbar zu machen, vollends ausschöpft. Dies reicht von der Inszenierung eines omnipräsenten Kriegszustandes (die beiden Atombombenabwürfe des Jahres 1945 waren die einzigen Einsätze von Atombomben während eines Krieges) durch Großaufnahmen von Panzern oder Kampfflugzeugen bis hin zu filigraner Detailarbeit. So sehen wir eine Turmuhr, welche die Uhrzeit 11:02 anzeigt – diejenige Uhrzeit, zu der am 09. August 1945 die Bombe über Nagasaki abgeworfen wurde.
Fazit:
Es dürfte keine große Überraschung und insofern auch keinen nennenswerten Spoiler darstellen, dass Godzilla am Ende des Films besiegt wird. Allein, von einem Happy End ist keineswegs zu sprechen. Die Gefahr durch Godzilla mag vorerst gebannt sein. Doch, so konkludiert der Film, wenn die Menschheit nicht verantwortungsvoller mit Atomwaffen umgeht, wird sie sich mit noch schlimmeren Bedrohungen konfrontiert sehen. In der Rückschau erweist sich „Godzilla“ damit bereits 1954 als am Puls der Zeit angesiedelt. Wie eingangs unter Bezugnahme auf „Godzilla vs. Kong“ erwähnt, ist Godzilla auch 67 Jahre nach seinem ersten Filmauftritt noch da. Und betrachtet man die dort vorgenommenen (und in den meisten Rezensionen, die sich oberflächlich nur auf das Spektakel konzentrieren, leider außer Acht gelassenen) Implikationen und Kommentare zu den Grenzen der Beherrschung des technologischen Fortschritts, wird man festhalten können, dass er von seiner Aktualität nichts eingebüßt hat.
Hier erhältlich:
- Godzilla – Das Original (Digital)
(Pascal Weber)
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