Film: Japan, kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Junpei und sein Bruder Kanta leben mit ihrem Vater und dem Großvater auf der Insel Schikotan, die von der Roten Armee besetzt wird. Die Familie wird zwangsenteignet und lebt nun in ihrem Schuppen. In der Schule lernen die beiden Jungen Tanya, die Tochter des russischen Soldaten kennen, der nun ihr Haus bewohnt, und freunden sich mit ihr an. Als jedoch der Vater der beiden in ein Arbeitslager gesteckt wird, weil er der hungernden Bevölkerung helfen wollte, machen sich die Kinder auf, um ihren Vater noch einmal in die Arme schließen zu können.
Giovannis Insel steht in der Tradition japanischer Zeichentrickfilme, welche die Auswirkungen großer Katastrophen oder Ereignisse aufarbeiten. Das Thema Krieg wurde bereits anschaulich in „Die Letzen Glühwürmchen“ thematisiert. Der Unterschied ist dabei, dass Giovannis Insel in seinen Grundzügen optimistisch ist und eine positive Grundstimmung erzeugt. Im Film freunden sich die Kinder zweier unterschiedlicher Kulturen an und erleben ein spannendes Abenteuer, das jedoch von seiner Thematik her eher zum Weinen denn zum Lachen anregt. Was dem Vater im „Arbeitslager“ für ein Schicksal blüht, dürfte wohl klar sein. Und dass seine Kinder sich durch ein unwirtliches Land aufmachen, nur um ihn noch einmal in die Arme schließen zu können, ist eine Thematik, die wohl keinen Familienmenschen kalt lassen kann.
Leider schafft der Film es nicht zur Gänze, die Dramatik aufrecht zu erhalten. Die Figuren und deren Annäherungsversuche, beziehungsweise deren Freundschaft zueinander, dominieren den ersten Teil des Films, und hier ist auch noch alles gut. Allen Widrigkeiten zum Trotz freunden sich die Kinder an, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Diese Problematik kommt im Film gut zur Geltung. Die russischen Szenen wurden in der Originalsprach – beziehungsweise im Russischen – belassen, um die Sprachbarriere zu veranschaulichen. Erfreulicherweise verzichtet der Streifen auf die Zuschaustellung von Gewalt und Kriegsgräueln, sondern legt den Fokus eher auf die Problematik der Kriegsverlierer – in diesem Falle Japan. Dadurch kommt auch die – in unseren Augen unpassende – Altersfreigabe der FSK zustande, die den Titel großzügig „Ab 6 Jahren“ freigibt. Allerdings dürften Kinder in diesem Alter nicht in der Lage sein, das gesehene zu verarbeiten, geschweige denn dürfte auch kein großes Interesse vorhanden sein. Es bleibt auch zu bezweifeln, dass Kinder dieses Alters in der Lage sind, die Untertitel der russischen Szenen in der angezeigten Geschwindigkeit zu erfassen, wodurch Kindern dieses Alters die gleichen Sprachprobleme auferlegt werden wie den Protagonisten. Andersrum ist die niedrige Altersfreigabe vielleicht ein wenig abschreckend für das wirklich interessierte Publikum, die hinter dem Titel fälschlicherweise einen Kinderfilm vermuten könnte.
Die zweite Filmhälfte beschäftigt sich mit der Reise der Kinder, die ihren Vater wiedersehen wollen. Hier ist die Inszenierung ausgesprochen schlampig, wenn man dieses harte Wort in diesem Zusammenhang benutzen möchte. Viele Punkte wirken gezwungen und unglaubwürdig, so dass man an der historischen Korrektheit der Handlung begründete Zweifel hegt, was im Endeffekt der Dramatik schadet. Zum Schluss hin wird der Film gar so pathetisch, dass einem fast die Spucke weg bleibt. Leider, denn all das macht den Film, der im Ansatz das Zeug zu einem echten Klassiker gehabt hätte, im Endeffekt zu Nichte.
Der Film basiert auf den Erlebnissen von Hiroshi Tokuno, zitiert gleichzeitig, aber auch massenweise Textabschnitte aus Kenji Miyazawas Roman „Ginga Tetsudō no Yoru“ (Die Nacht der Transgalaktischen Eisenbahn). Die aus dem Roman zitierten Passagen sowie die bildliche Darstellung der titelgebenden Eisenbahn, die ihre Passagiere zu jedem Ort bringen kann, die sie sich wünschen und vorstellen können, bilden das Leitmotiv des Films. Interessant ist hierbei die metaphorische Bedeutung des Zuges, die erst am Ende des Films klar wird. Der Filmtitel leitet sich ebenfalls daher ab, da die beiden Hauptfiguren des Romans die Namen Giovanni und Campanella tragen, und die beiden Brüder im Film die Namen der beiden Romanhelden bei ihrer Reise annehmen, um Tanya die Anrede zu erleichtern.
Der Zeichenstil des Films ist als grobschlächtig zu bezeichnen. Die Figuren sind grob und verfügen nur über perrifere Gesichstzüge, wodurch der Eindruck entsteht, der Film sei schon etliche Jahre alt. Die Figuren sehen aus, als wären sie gleich aus billigen Cartoons entnommen, was sich auch in vereinzelten Gesten widerspiegelt. Das mag durchaus so gewollt sein und trägt erheblich dazu bei, dass der Film als Gesamtwerk funktioniert. Dennoch ist dieser eigenwillige Stil anfangs etwas gewöhnungsbedürftig.
Vor allem stehen die einfach gezeichneten Figuren in einem extremen Kontrast zu den Hintergründen, die fast aussehen, als handle es sich dabei um Aquarelle. Gleichzeitig setzt der Film zahlreiche computergenerierte Szenen ein. Ein Mischmasch, den man als Fan von Animes einfach gesehen haben muss, und der trotz oder gerade wegen der extremen Unterschiede dennoch ausgesprochen gut funktioniert. Besonders toll ist die Massentanzszene am Ende des Films, die Mittels Motion-Capture-Verfahren realisiert wurde. In Gewisser Weise ist das Bild ebenso vielfältig wie die handelnden Protagonisten.
Grundsätzlich ist Giovannis Insel ein warmherziger Film, der das bittere Thema locker und teilweise sogar witzig aufbereitet, dabei aber auch zum Teil gehörig auf die Tränendrüse drückt. Wären die zweite Filmhälfte und der übertriebene Schluss nicht, so könnte man hier von einem Klassiker der Zukunft sprechen. Ansehen sollte man den Titel aber dennoch, schon alleine wegen den wundervoll ineinandergreifenden Stilmitteln und der wundervollen Musik.
Bildqualität: Das Bild ist alles in allem sehr gefällig, allerdings gibt es – rein objektiv – ein paar kleinere Mängel, die dem Film jedoch nicht als solche angekreidet werden. Zunächst einmal wäre da die Schärfe, die zwar allgemein so ist, wie sie sein sollte, allerdings wird stilmittelbedingt auf eine weichere Bildgebung gesetzt. Die Figuren wirken weich, die Kanten strahlen ein wenig – aber das soll genauso aussehen und ist demnach absolut passend. Die Details wiederum lassen sich jederzeit ausmachen, vor allem in den malerischen Hintergründen gibt es immer wieder etwas zu sehen. Phantastisch! Die Farben sind jederzeit kraftvoll und strahlend, wobei der Farbton am Anfang des Films ein anderer ist als am Ende. Anfangs setzt der Film auf warme, erdige Farbtöne, und ab der Hälfte wird das Bild zunehmend kälter und zeigt sich in blauen Tönen. Hier wird schön veranschaulicht, wie man mit Farben eine gewisse Stimmung erzeugen kann – und die Stimmung entspricht zu jeder Zeit der des Films. Auch hier wurde absolut großartige Arbeit geleistet. Auch nahezu perfekt sind die Kontrastwerte zu bewerten, die ein tiefes, makelloses Schwarz abbilden, aber ebenso ein astreines Weiß, wenn es gefordert wird. Das ganze Bild ist einfach großartig und lädt zum Schwärmen ein. Einziges kleines Manko sind hier und da ruckelnde Bilder, aber diese kommen extrem selten vor und fallen nicht weiter ins Gewicht, weswegen – trotz dieses winzigen Mankos – von unserer Seite die Höchstwertung ausgepackt wird.
Tonqualität: Der Ton ist zwar etwas frontlastig, bezieht aber in den richtigen Momenten die Surroundboxen mit in das Geschehen ein, so dass beizeiten ein anständiger Raumklang geboten wird. Vor allem der wundervoll traumhafte Soundtrack kommt hier sehr gut zur Geltung und vermittelt das richtige Gefühl für die gezeigten Bilder. Direktionalität wird dementsprechend nur selten geboten, dafür aber auf den Punkt. Der Subwoofer wird, wie bei einem solchen Film zu erwarten, ebenfalls nur sehr selten eingesetzt (etwa bei den Flugangriffen am Anfang des Films), kann aber im Großen und Ganzen bei seinen Einsätzen überzeugen. Grundsätzlich ist die deutsche Tonspur sehr gut ausballanciert und bietet keinen Anlass zur Kritik. Der Grundtenor des Films ist eher ruhig, wodurch die Dynamik sehr gut zur Geltung kommt. Natürliche Geräusche wie Wasser, Wind, Schritte, aber andererseits auch Bomben und Gewehrfeuer – hier ist alles vertreten. Erfreulich ist auch, dass die Dialoge jederzeit klar verständlich bleiben. Für die deutsche Synchronisation war das Synchronstudio EuroSync verantwortlich, und setzt dabei auf eine gut ausgewählte Vielfalt aus bekannten und neuen Sprechern. Vor allem fällt Daria Käufel auf, die hier ihre allererste Synchronarbeit ablieferte und die Rolle der Tanya gleich perfekt mit Leben füllt. In beiden Sprachfassungen, also in der deutschen als auch in der japanischen, wurden die russischen Texte NICHT synchronisiert, sondern – zur Verdeutlichung der Sprachbarriere – im Russischen belassen. Zum Verständnis für den Zuschauer wurde diese Passagen deutsch untertitelt.
Extras: Das Menü der Disc ist übersichtlich gestaltet und mit den sanften Klängen des Soundtracks unterlegt, so dass man gleich in die richtige Stimmung für den Film kommt. Universum Anime spendiert der Erstauflage ein Wendecover, so das bei Bedarf das Artwork nicht nur frei von der Altersfreigabe, sonder auch frei von den Werbeaufdrucken genossen werden kann. Obendrein liegen der Hülle noch drei schöne Postkarten mit Filmmotiven bei – ein nettes Giveaway, über das sich vor allem Anime-Fans freuen dürften.
Die Extras sind zwar übersichtlich, aber sehr informativ. Den Hauptteil macht das rund 40-minütige Making-Of, in welchem nicht nur auf den Film und dessen Herstellung eingegangen wird, sondern auch die historischen Hintergründe der wahren Geschichte von Hiroshi Tokuno beleuchtet werden. Da die Synchronkultur in Japan sehr ausgeprägt ist und die Sprecher in Japan wahre Stars sind, wird auch dieser Punkt angesprochen. Da verwundert es auch wenig, dass Polina Ilyushenko, die im Original die Rolle der Tanya spricht, ein vierminütiges Interview gewidmet wurde, das ebenfalls den Weg auf die Disc geschafft hat. Schön anzusehen, beziehungsweise anzuhören, ist auch der Musikclip „Troika“, und abgerundet wird das Bonuspaket von einer netten, kleinen Bildergalerie.
Fazit: Bild und Ton sind zwar gefällig und passend, allerdings werden sie rein objektiv gesehen mit ihrer Performance keine Höchstnote erreichen. Die Bilder sind alles in allem zu weich und der Zeichenstil ist auch nicht jedermanns Sache. Der Ton ist sehr frontlastig, dafür aber glasklar. Für den Film und die zu vermittelnde Stimmung sind Bild und Ton erstklassig. Die Extras sind informativ und lassen einen Blick hinter die Kulissen zu, wobei auch die historischen Aspekte der Handlung nicht unerwähnt bleiben.
Der Film selbst ist ein sehr interessantes, rührseliges Stück Zeitgeschichte. Interessant erzählt, aber leider nicht ganz gar, so dass vor allem die zweite Filmhälfte und das Finale viel kaputt machen. Dennoch lohnt sich das Ansehen, schon alleine deshalb, weil hier so viele Stilmittel ineinandergreifen und ein einzigartiges Kunstwerk erschaffen. Für Kinder ist der Streifen allerdings, trotz der niedrigen FSK-Freigabe, nur bedingt bis überhaupt nicht zu empfehlen. Erwachsene hingegen sollten sich diesen Film nicht entgehen lassen, vor allem dann nicht, wenn ein Faible für dramatische Familiengeschichten vorhanden ist. Allerdings sollte man die Taschentücher nicht allzu weit entfernt griffbereit halten.
(Michael Speier)
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