Literaturverfilmungen gehen oft gehörig in die Hose. Das liegt meist daran, dass sich die Filmemacher entweder zu sehr von der Vorlage entfernen oder sich stur an diese klammern, ohne eigenen Input mit einzubauen. Mit dem Film „Deutschstunde“ versucht Regisseur Christian Schwochows, genau diese Fehler zu umgehen, ohne sich von dem literarischen deutschen Klassiker zu sehr zu entfremden. Ob ihm dies gelungen ist und ob daraus eine wirklich interessante Deutschstunde herausgekommen ist, das erfahrt ihr hier in meiner Review.
Story:
Der sinnlose und blutige zweite Weltkrieg ist zu Ende, die Deutschen haben verloren und befinden sich in einer Art Schockstarre. In diesen Zeiten sitzt Siggi in einer Anstalt für schwererziehbare Jugendliche, in Rugbüll.- Schleswig-Holstein. Hinter den kalten Mauern soll er einen Aufsatz zu dem Thema „Die Freuden der Pflicht“ schreiben. Doch statt zu schreiben, verletzt er sich lieber selbst und lässt das Papier leer, denn er findet wohl keinen richtigen Ansatz, um etwas zu verfassen. Als Strafe wird er in eine Zelle gesperrt. In der Isolation findet Siggi nun die richtigen Worte. Die Buchstaben und die Sätze sprudeln nur so aus ihm heraus, die er auf Papier bringt. So schreibt er die düsteren Erlebnisse seiner Kindheit, Wort für Wort, nieder. Siggi beschreibt in vollkommener Klarheit den tristen und harten Alltag, den er mit seinem nazitreuen Polizisten Vater Jens Ole erlebt hat. In seinem Aufsatz schildert er auch, wie er als Elfjähriger in einen Kleinkrieg zwischen dem Künstler Max Ludwig Nansen und seinem Vater geriet. Durch ein von Nazis verhängtes Malverbot an Nansen, geraten die einstigen Freunde aneinander und beide Männer wollen den Jungen für ihre Seite gewinnen…
Meinung und Wertung:
„Deutschstunde“ von Siegfried Lenz ist wohl der deutscheste Roman unter der deutschen Nachkriegsliteratur. Ganz viel deutsch in diesem Satz, aber ich gelobe Besserung. Versprochen!
In Christian Schwochows („Paula“) filmischer Aufarbeitung sowie auch in der literarischen Vorlage, wird das deutsche Pflichtbewusstsein und die Grenze zwischen Pflicht und blindem Gehorsam regelrecht seziert. Der Regisseur schafft es, seine Vision des Stoffes jegliches Zeitgebilde zu entziehen. Denn auch wenn der Film in der Nazi-Diktatur angesiedelt ist, könnte der Stoff zeitloser nicht sein und könnte obgleich im heutigen Jetzt spielen. „Deutschstunde“ zeigt eindrucksvoll zwei innerlich zerrissene Männer, die rücksichtslos einen kleinen Jungen für sich ausnutzen und instrumentalisieren. Des Weiteren wird in schonungslosen Bildern verdeutlicht, was körperliche wie seelische Züchtigung bei einer Familie und insbesondere bei einem Kind anrichten kann. Die Familie wird zerstört und übrig bleibt ein psychisch deformierter junger Mann, der jeglichen Sinn im Leben verloren hat. Die Darstellerriege vermittelt diese Themen und die düstere Atmosphäre grandios und ohne schwermütige Theatralik.
Die Performance von allen Darstellern ist herausragend, aber dennoch kann man die Leistungen, die wirklich beeindruckend sind, von Ulrich Noethen („Unterleuten – Das zerrissene Dorf“) als blinden Befehlsempfänger und Tobias Moretti („Wie Brüder im Wind“) als sturer Maler, hervorheben. Denn die Beiden machen aus „Deutschstunde“, mit ihren intensiven und authentischen Darstellungen, ein bodenständiges Schauspiel-Glanzstück. Auch Levi Eisenblätter („Angst – Der Feind in meinem Haus“) als kindlicher Siggi spielt seine Rolle erstaunlich eindringlich, wenn auch manchmal etwas steif. Dennoch bringt er den innerlich wie äußerlichen Konflikt, der in Siggi tobt und die Zerrissenheit seiner Person, gefühlsnah auf den Punkt. Tom Gronau („Raus“) als erwachsener Siggi, findet nahezu perfekt den Zugang in einen psychisch labilen jungen Menschen, mit einer zerstörten Seele und ergänzt die Entwicklung der Figur realitätsnah. Die Charaktere sind sehr imposante, nahe und reale Figuren, denen man nahezu jede Handlung, auch so im wahren Leben zutrauen würde. Dies hat auch sehr viel mit der inszenatorischen Genauigkeit von Schwochow zu tun. Denn dieser lässt sich, mit der Entwicklung seiner Geschichte, viel Zeit und besticht mit einem entschleunigten Pacing, welches zwar die ein oder andere Länge offenbart, diese aber geschickt, mit stillen tonlosen Momenten, kaschiert.
Mit viel inszenatorischem Feingefühl und beeindruckender Kameraarbeit, entwickelt der Film eine bedrückend intensive Atmosphäre, in der fast geräusch- und wortlosen Prämisse, die einem zu jedem Zeitpunkt fesselt und in seinen Bann zieht. Wundervolle und gleichzeitig düstere Naturaufnahmen sowie ruhige Kamerafahrten und gut eingesetzten Overviews, vermitteln eine unwirtliche Insel, die wie ein Gefängnis für ihre Bewohner wirkt. Die angenehme Anzahl der Hauptakteure, trägt zur Intimität des Filmes bei. Selbst die eingebauten Zeitsprünge zwischen dem jungen und dem älteren im Heim dahinsiechenden Siggi, werden unaufgeregt und geschmeidig eingefügt.
Fazit:
Ein stilles Drama, dass mit seiner entschleunigten Gangart nicht jedem zusagen wird, aber dennoch seine Anhänger finden wird. „Deutschstunde“ transportiert das depressive Gefühl der Kriegszeit sehr intensiv und überzeugt mit herausragender Kameraarbeit und darstellerischen Glanzleistungen. Kein Film für zwischendurch und ganz bestimmt kein Feel-Good-Movie, aber dafür ein Film mit Herz und Seele, der seiner Geschichte den nötigen Respekt zollt und mit der bitteren Realität für ein intimes Filmvergnügen sorgt. „Deutschstunde“ ist Schauspielkino und soghaftes Drama in einem. Atmosphärisch dichte Inszenierung trifft auf herausragende Schauspielkunst – Ein Glanzstück des deutschen Kinos.
Danke für Eure Aufmerksamkeit und danke für Eure Lesezeit.
(Thomas P. Groh)
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