Einführung: Rund fünf Jahre dauerte es, bis Michael „Bully“ Herbig seinen ersten Thriller auf die Leinwand bringen konnte. Dabei griff er auf die Geschichte, um die unglaubliche Flucht der Familien Strelzyk und Wetzel aus der damaligen DDR, mit einem selbst gebauten Ballon zurück.
Erwähnen muss man, das es sich dabei Nicht um die erste Verfilmung dieses Stoffes handelt. Disney verfilmte die Geschichte bereits 1980 und brachte den Film dann 1982 unter dem Titel: „Mit dem Wind nach Westen“ (Original: „Night Crossing“) in die Kinos. Die damalige englisch / deutsche Besetzung konnte sich mit: John Hurt, Beau Bridges, Klaus Löwitsch, Sky Du Mont und anderen, durchaus sehen lassen. Nun also hat sich Michael „Bully“ Herbig dem Stoff zugewandt und diesen mit seinem Herzenswunsch, einen Thriller drehen zu wollen, kombiniert. Ob ihm dieses Vorhaben geglückt ist, erfahrt ihr am Ende dieses Reviews.
Story: Thüringen im Sommer 1979. Schon lange planen die Familien Strelzyk und Wetzel ihre Flucht aus der DDR. Ihr Fluchtgefährt soll ein selbst gebauter Heißluft-Ballon sein. Nach der Jugendweihe seines Sohnes Frank und das Aufziehen des richtigen Windes, sieht Vater Peter Strelzyk (Friedrich Mücke), die Chance gekommen den Ballon zu starten. Als er Günter Wetzel (David Kross) darüber informiert, das heute DER Zeitpunkt sei, beichtet ihm dieser, dass er sich verrechnet hat. Der Heißluft Ballon wird nie und nimmer acht Personen tragen können. Ihm und seiner Frau sei das Risiko zu hoch und er zieht es vor in der DDR zu bleiben.
Das hält Strelzyk nicht davon ab, trotzdem die Flucht mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen zu wagen. Angekommen am Startplatz, scheint auch erstmal alles nach Plan zu funktionieren. Doch durch die Wahl des falschen Stoffes für den Ballon und das vereisen der Gasflaschen, stürzt der Ballon kurz vor der Westgrenze ab. Mit dem Schreck davongekommen, bleibt Strelzyks nichts anderes übrig als zu versuchen ihre Spuren so gut wie möglich zu verwischen und das gewohnte Leben wieder aufzunehmen. Doch zuhause angekommen stellt sich heraus, dass Peters Frau Doris (Karoline Schuch) ihre registrierten Medikamente an der Absturzstelle verloren hat. Panisch und verzweifelt versuchen sie mit dem Vorwand politisch verfolgt zu werden, Hilfe vom amerikanischen Konsulat zu bekommen. Wie sich rausstellt, ein aussichtsloses Unterfangen.
Die Einsicht trifft sie wie ein Schlag: Sie können sich nur selbst retten, wenn Sie erneut versuchen zu flüchten. Doch wie lange wird es dauern, bis sie von der Staatssicherheit gefunden werden. Es bleibt nur der Versuch, so schnell wie möglich einen zweiten Ballon zu bauen und das geht nur mit Wetzels Hilfe. Auch Wetzels Einstellung hat sich geändert, er will nicht das vorbestimmte Leben für sich, seine Frau und seine beiden Kinder, dass das Zentralkomitee für ihn vorgesehen hat. Doch der Countdown läuft, der erste Ballon wurde gefunden und Oberstleutnant Seidel (Thomas Kretschmann) von der Stasi, hat die Ermittlungen aufgenommen. Wie ein Spürhund kommt er der Familie Strelzyk immer näher. Die einzige Hoffnung: die Familien Strelzyk und Wetzel müssen in Rekordzeit den neuen Ballon nähen / bauen und das ohne zu viel Aufsehen zu erregen. Denn zu allem Überfluss ist Strelzyks Nachbar auch noch Mitarbeiter der Stasi. Für Strelzyk und Wetzel beginnt der Wettlauf gegen die Zeit, entweder erwartet sie die Freiheit oder ewige Gefangenschaft aufgrund Staatsverrats.
Bewertung: Hat Michael „Bully“ Herbig einen guten Job gemacht? Die Frage muss man eindeutig mit Ja beantworten. Trotz einer Laufzeit von zwei Stunden hat der Film kaum längen, das Setting, die Ausstattung, Kostüme, Requisiten sind bis aufs kleinste Detail originalgetreu nachgestellt bzw. nachgebildet worden. Man glaubt sich tatsächlich in der Zeit zurückversetzt. Laut einem Interview war es Herbig wichtig die Familie Strelzyk und Wetzel von Anfang an ins Boot zu holen. Was sich als eine clevere Strategie herausstellte, denn wer könnte einen Film besser begleiten als die Personen, die diese Flucht durchgeführt haben. Natürlich darf man nicht vergessen das es sich um einen Thriller und nicht um eine Doku handelt. Somit passte Herbig mit viel Feingefühl, die Dramaturgie dem Genre und den heutigen Sehgewohnheiten an. Dabei raffte er die Geschichte, ohne dabei zu viel von den echten Vorkommnissen zu verändern.
Faszinierend ist die fast schon greifbare Spannung die „Bully“ nach dem Absturz des ersten Ballons aufbaut. Aber auch schon zu Anfang des Films herrscht beim Zuschauen Unbehagen. Man merkt den Figuren an, wie sehr sie sich zusammenreißen müssen, um sich nicht zu verplappern. Dieses Unbehagen wird zur andauernden Anspannung und zieht sich durch den ganzen Film. Man fühlt mit den Darstellern mit, man rechnet damit jeden Moment ertappt zu werden. Wie schon in dem Film „Das Leben der Anderen“ hat man das Gefühl die Stasi sei überall, selbst im eigenen Wohnzimmer. Dennoch ist das kein Film über die Stasi oder die DDR. Es stehen die Figuren im Mittelpunkt, angefangen von den Familien Strelzyk und Wetzel, bis zu Oberstleutnant Seidel. Alle Handlungen, aller Parteien sind nachvollziehbar dargestellt, ganz ohne Verdammung des Staatsapparats oder unangebrachten Pathos.
Ebenfalls sehr gelungen sind Kamera, Schnitt und Musik. Kurzum: Michael „Bully“ Herbig setzt die gesamte Palette des Spannungskinos so gezielt und präzise ein, dass man meinen könnte, er hätte noch nie was anderes gemacht. Somit muss ich dem Film meine absolute Empfehlung aussprechen. Lange konnte mich ein deutscher Film nicht mehr so mitreißen und begeistern wie „Ballon“.
Bild: Das Bild liegt im 2,40:1 Format vor und lässt fast keine Wünsche offen. Die spärlich eingesetzten CGI lassen das Bild ab und etwas weicher wirken, das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt. Der Schwarzwert, Farben und Kontraste sind einwandfrei.
Ton:
- Deutsch (Dolby Atmos)
- Deutsch (Stereo PCM), Hörfilmfassung für Blinde
- Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Der Ton selbst gibt ebenfalls keinen Anlass zur Klage, die Dialoge sind immer klar verständlich und die Effekte kommen einwandfrei, wenn auch nicht sooo druckvoll zur Geltung
Extras:
- Exklusives 20-minütiges Featurette: „Was für ein Aufwand“
- Featurette: „Die Requisiten“
- Featurette: „Die Nachbildung des Ballons“
- Featurette: „Über die Geschichte“
- Featurette: „Über die Einbindung der Zeitzeugen“
- Making of
- B-Roll
- Trailer, Wendecover
Die Extras sind informativ und interessant, die Featurettes sind teils aber etwas kurzgehalten und sind teils Wiederholungen aus dem Großen 20-minütigen Featurette. Ich hätte mir noch ein etwas größeres Interview mit Herrn Wetzel gewünscht. Schade fand ich, dass es von Familie Strelzyk keine Interviews gibt.
Anmerkung: Der Film: „Mit dem Wind nach Westen“ ist leider nicht mehr auf DVD erhältlich. Aber man kann diesen bei Amazon Prime leihen oder kaufen, sowohl in SD als auch in HD.
(Marc Maurer)
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